Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Fantastisches Kleiderspiel und poetisches Licht“

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Fantastisches Kleiderspiel und poetisches Licht“ mit Margarete Palz und Alfred Wolski Im Haus am Tor, Südwestrundfunk, Mainz, am 7. Mai 2008.

Gehalten von Günter Minas www.minas-mainz.de

 

“ Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Sie sind in eine Zauberwelt eingetreten. Sie haben tanzende Lichter und Farben gesehen, bizarre Wesen aus Häuten und Hüllen, ein Ensemble aus Figuren, Resten von Abbildungen, wandernden Lichtflecken, sich drehenden skulpturalen Objekten.

Sie sind durch diese Inszenierung hindurch gegangen wie durch ein Bühnenbild, Sie sind Teil dieses kleinen Universums geworden, kamen den halbmenschlichen Gebilden greifbar nahe, wurden von farbigem Licht gestreift, berührt, getroffen.

Zudem verändert sich alles beständig, und im Grunde wissen Sie nicht, welchem Augenblick Ihrer Wahrnehmung Sie trauen sollen, welche Schicht nun Oberfläche oder Grund ist, wohin und auf welchen Fokus Sie bitteschön Ihr Augenmerk richten sollen. Reflexionen? Schatten? Projektionen? Bilder? Körperformen?

Sollen Sie mosaikhaft Fragmente von Wirklichkeit zusammensetzen, die eine Künstlerin für Sie zerstückelt hat? Farbige Irrlichter auf ihren Ursprung zurückführen und damit das technisch-ästhetische Arrangement eines Künstlers entschlüsseln?

„Fantastisches Kleiderspiel und poetisches Licht“ hat man diese Ausstellung betitelt. Man könnte auch sagen: „Poetisches Kleiderspiel und fantastisches Licht“. Oder „Spielendes Licht um fantastische Kleiderpoesie“ oder „Poetische Kleider in fantastischen Lichtspielen“ oder oder…

Die zweckgebundene Titel-Kreativität der Fernsehmacher, die hier an diesem Ort dann und wann auch Ausstellungsmacher sind, und zwar keine schlechten, hat Ihnen schon einen Weg eröffnet.

Wenn es um Spiel geht, dann müssen wir fragen: Womit wird gespielt? Was ist hier das Spielmaterial?

Und worin besteht das Fantastische, worin die Poesie?

Unversehens haben wir eine Grundebene der Kunst getroffen, sie hat uns gestreift, kurz angestrahlt, vielleicht nicht gleich erleuchtet, aber aufgeblitzt ist sie:

Ich meine die Frage nach dem Material, dem Umgang damit, dem Ergebnis der Verwandlung und nicht zuletzt dem begleitenden Gedankenzug.

Man könnte es – und man sollte es auch zunächst – ganz einfach beschreiben: Margarete Palz erhält Fotos, teils komplette, teils Teststreifen, alles, beinahe alles aus einem professionellen Fotostudio. Sie vermeidet das Wort „Abfall“, für sie ist es Material eigener Qualität. Stellen Sie sich vor, Sie finden im Müllcontainer beim Ausleeren des Papierkorbs ein Stückchen Foto, von jemandem vor Ihnen zerrissen und weggeworfen. Sie spüren die Aura dieser fragmentarischen Abbildung. Das ist es.

In das, was jetzt passiert, greift schon die kreative Planung ein. Motive werden sortiert, Farben einander zugeordnet. Ob das Motiv, der Gegenstand der Fotografie, zum Tragen kommt, oder eher die abstrakte Qualität der Muster und Farben, wird sich später zeigen. Dann der Moment des Zerlegens, der elementaren Analyse sozusagen: Zerschneiden in Streifen oder in geometrische Fragmente, Quadrate, Rechtecke, Module. Übrigens per Hand und nicht maschinell. Der nächste Schritt: Zusammenfügen – also Zusammennähen – des Zerlegten zu überschaubaren Stücken. Es werden Stoffstücke hergestellt, viereckig oder dreieckig, aber eben und einfach weiter zu verarbeiten.

Der jetzt folgende Schritt ist ebenso pragmatisch wie bedeutsam: Die Künstlerin tritt vor den Spiegel und legt sich probeweise die vorbereiteten Materialstücke an, komponiert sie stückweise zu körperangepassten Formen, prüft dabei die Statik: Hält’ s? Hängt’ s? Und es soll eher schweben als kleben, denn Hilfsmittel wie Drähte, Knöpfe oder Reißverschlüsse werden vermieden.

In diesem Moment wird die fotografische Abbildung zur Hülle, gewinnt neue Form, erobert ihre wirkliche dritte Dimension. Die mag der fotografischen Perspektive des Ausgangsmaterials widersprechen, sie unterstützen oder auch völlig negieren. In jedem Fall entsteht ein Dialog. Das zweidimensionale Foto wird zum skulpturalen Werkstoff.

Alfred Wolskis Werkstoff ist – ja was eigentlich? Er selbst würde sicher sagen: das Licht. Aber um das Licht zu formen, zu lenken, seine spektralen Bestandteile hervorzukehren und miteinander poetisch spielen zu lassen, bedarf es eines konkreten, fassbaren Materials, eines Apparats, geradezu einer Versuchsanordnung.

Die Objekte, die Sie hier sehen, bestehen aus hochwertigen optischen Gläsern, die durch spezielle Beschichtungen das Licht formen und filtern. Gern würde ich Ihnen diese spannenden Vorgänge technisch erläutern, aber ich belasse es bei kurzen Andeutungen: Es geht darum, dass bestimmte Farbanteile des weißen Lichts bei der Reflexion an der äußeren und inneren Glasoberfläche ausgefiltert werden, dass sich durch die Phasenverschiebung der beiden Reflexionen Wellen addieren oder subtrahieren, dass außerdem bestimmte Wellenbereiche bei der Transmission, also dem Durchdringen der Gläser ausgefiltert werden, und dass durch all diese teils kombinierten Effekte einzelne Farben, d. h. Teilbereiche des Spektrums betont, andere dagegen unterdrückt werden. Diese Vorgänge sind schließlich auch noch vom jeweiligen Winkel abhängig, in dem das Licht auftrifft.

Die virtuose Beherrschung dieser optischen Vorgänge ist für den Künstler selbstverständliche Voraussetzung der Arbeit. Sein technisches Studium in seinem früheren Leben (in „einem seiner früheren Leben“) hilft ihm dabei. Mittlerweile geht er aber mit seinen Gläsern eher intuitiv um. Ihm ist manchmal, so sagt er, „als sähe er seinen Händen bei der Arbeit zu“. Die ersten Licht-Glas-Objekte orientierten sich noch stark an kristallinen Formen, inzwischen sind die Strukturen offener.

Das Rohmaterial übrigens, das Glas, stammt aus ganz anderen, unkünstlerischen Zusammenhängen, hat technische Funktionen, z. B. im Messwesen, und folgt in seiner Herstellung detailliertesten Anforderungen der Auftraggeber, ebenso wie die sachorientierte Industriefotografie, deren Reste Margarete Palz verarbeitet. Hier ergibt sich eine erste unerwartete Entsprechung zwischen beiden:


Beide Künstler erkennen in einem bestimmten Moment ihres Lebens die Qualität, die Eigenschaften, die Möglichkeiten eines Materials, das ihnen der Zufall in die Hände spielt. Und beide können Ihnen viel erzählen über diese Momente, in denen plötzlich Poesie aufleuchtet beim Entdecken und das sichere Gefühl, das gefunden zu haben, was lange gesucht wurde, ohne dass man es hätte genau beschreiben können.

Es ist charakteristisch für das künstlerische Entdecken – das letztlich eben doch nie Zufall ist, sondern immer durch Denken und Spüren und Erfahrung vorbereitet – dass mit ihm sich auch die Dimensionen des Erlebens schlagartig erweitern. Man kann auch sagen: Die neuen Dimensionen zu finden, ist die künstlerische Leistung.

Die Fotografie, durch Destruktion und Konstruktion in ihren ästhetischen Eigenschaften betont, ist zugleich raumgreifendes und raumformendes Objekt. Ein ständiges Wechseln der Perspektive des Betrachters wird provoziert. Sehe ich die Abbildung einer Maschine, Wasser, Steine oder eine dem menschlichen Körper folgende Form?

Schaue ich in die vielfarbige Glaswelt eines Lichtobjekts oder verfolge ich deren farbige Schattenspiele auf den Wänden? Und nicht zuletzt ist ja auch noch eine zunächst unsichtbare Strahlenwelt im Raum, die vermutlich Wirkungen provoziert und Resonanzen in unserem Empfinden auslöst, die wir kaum bewusst wahrnehmen. Auch dafür und vor allem dafür interessiert sich Alfred Wolski.

Sind wir beim Dreidimensionalen, kommt schon die vierte Dimension hinzu, nämlich die Zeit. Die Lichtobjekte bewegen sich, wobei sich Schatten und Transmissionen ständig in Form und Farbe verändern. Und die Kostüme von Margarete Palz verlangen danach, getragen zu werden, fordern von ihren Trägern Bewegungen in vorherbestimmten Grenzen. Die Menschen in ihnen dienen als Motor, wie die Künstlerin sagt.

Somit ist bei beiden Künstlern zugleich ein Aufführungscharakter der Werke impliziert. Es reicht nicht bzw. es eröffnet nur einen Teil der in ihnen enthaltenen Ebenen, sie einfach statisch auszustellen oder aufzustellen oder zu hängen. Sie entfalten weitere Dimensionen durch die Aktion, die Vorführung. Eine davon erleben Sie heute, eine andere findet in der Museumsnacht statt. Insofern ist der Eindruck einer Inszenierung oder der einer Bühne, auf der wir uns hier befinden und auf der etwas passiert oder passieren kann, ganz richtig.

Bei diesen Aufführungen (das überstrapazierte Wort „Performance“ muss man gar nicht verwenden) kommt – auch das trifft für beide Künstler zu – eine weitere Dimension hinzu: der Klang, ob als inspirierte Zugabe von außen, wie etwa in der Begleitung durch ein Instrument, oder durch die Objekte selbst ausgelöst. Ich verweise hierbei insbesondere auf die Aufführung von Alfred Wolski und Wolfgang Jost, die in der Museumsnacht das farbige Licht der Objekte mittels Fotozellen in Klänge übersetzen werden. „Wir hören was wir sehen – Wir sehen was wir hören“.

Es deutet sich bei beiden Künstlern ein „Hang zum Gesamtkunstwerk“ an, das Bestreben, alle oder viele Sinne anzusprechen, in Resonanz zu bringen, Synästhesien zu erzeugen und uns als Zuschauer und Zuhörer komplett gefangen zu nehmen.

Natürlich kamen die beiden Künstler auf unterschiedlichen Wegen dorthin. Margarete Palz nennt ausdrücklich das Bauhaus, in deren Einfluss ihre Lehrer Boris Kleint und Oskar Holweck in Saarbrücken standen. Da fallen einem die Bauhausbühne ein und die Figuren von Oskar Schlemmer oder die Inszenierungen von Kandinsky.

In der Biografie von Alfred Wolski finden sich Namen wie Hermann Nitsch, mit dem er zusammengearbeitet hat. Das mag zunächst erstaunen, aber wer es nicht weiß, dem sei gesagt, dass auch Nitsch ein „Gesamtkünstler“ ist, der in seinen Aktionen auf höchstem Niveau versucht, Sinneserlebnisse aller Art zusammenzuführen und zu ermöglichen.

Aber es gibt auch Querbezüge. Wir haben nicht darüber gesprochen, aber als Urmodell der Verbindung von Skulptur, Licht und Kinetik muss man hier den Licht-Raum-Modulator von Moholy-Nagy nennen, wieder Bauhaus, und seine Umsetzung im Film „Lichtspiel Schwarz-Weiß-Grau“.

Und nicht zu vergessen die Düsseldorfer Gruppe ZERO mit Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker, vor gerade 50 Jahren gegründet, deren Material zum guten Teil aus Licht und Bewegung bestand. Oskar Holweck gehörte zum weiteren Umkreis der Gruppe, womit wir wieder in Saarbrücken wären und vielleicht bei einem weiteren verbindenden Element.

Zwei Dinge seien noch ergänzt: Die Einbeziehung vieler Dimensionen und das Ausgreifen der Kunstobjekte in Raum und Zeit schafft auch die Nähe zu anderen Disziplinen, legt Kooperationen nah, ermöglicht Zusammenwirken in anderen Zusammenhängen, und damit auch Auftragsarbeiten. Bei Margarete Palz hauptsächlich im Bereich Theater, Beispiele sind hier auch ausgestellt, und bei Alfred Wolski vor allem im Bereich Architektur. Die informativen Homepages der beiden zeigen Ihnen Beispiele.

Aber da wir hier „live“ zusammen sind, erlauben Sie mir einen letzten Hinweis auf eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Künstler: Beide haben viel zu sagen und viel zu erzählen. Meine Damen und Herren, nutzen Sie diese Chance.

Vielen Dank. “ Günter Minas

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